Was bedeuten die neuen News Feed Values von Facebook für die Newsportale? Mit dieser Frage beschäftigen sich seit Mittwochabend weltweit Social-Media-Experten und -Redakteure. Da hat Facebook bekannt gegeben, zukünftig den Postings von Freunden und Familie wieder mehr Beachtung zu schenken und ihre Inhalte im Newsfeed nach oben zu heben. Für das Social Network bedeutet die Änderung ‘back to the roots’, weil es damit wieder die Interaktionen zwischen Nutzern fokussiert. Postings von Publishern sollen in Zukunft erst weiter unten im Newsfeed erscheinen.
Ersten Befürchtungen in der Medienbranche zufolge könnte nach den Änderungen die Sichtbarkeit und damit auch der für die werbefinanzierten Seiten so wichtige Traffic leiden. Obwohl Facebook diese Konsequenzen selbst zu bedenken gibt, geben sich deutsche Chefredakteure und Social-Media-Experten auf Nachfrage von MEEDIA erst einmal gelassen. Zwar wolle niemand darüber spekulieren, welche Auswirkungen der neue Newsfeed tatsächlich auf die Facebook- bzw. Websites der Betreiber haben wird. Allerdings sei die Unbeständigkeit Facebooks keine Überraschung mehr, wie Jochen Wegner meint. “Die einzige Konstante in der Architektur des Facebook-Newsfeeds ist seine Veränderung”, so der Chefredakteur von Zeit Online. “Unsere Erfahrung mit solchen Veränderungen war bisher stets, dass sie nicht alle Medien gleich stark betreffen.” Dass Zeit Online durch die Umstellungen an Traffic verlieren könnte, will Wegner nicht ausschließen. Aber: “Da wir eine sehr aktive Leser-Community haben, die unsere Inhalte selbst teilt, hoffen wir aktuell auf einen im Vergleich zu anderen Medien eher geringeren Rückgang.” Gefordert sein werde vor allem das Engagement-Team, das täglich die Social-Media-Aktivitäten von Zeit Online überprüfe und nachjustiere. “Die Arbeit speziell mit Facebook ist ohnehin ein ständiges Experiment.”
Geht es nach Torsten Beeck muss sich nicht zwingend viel ändern. “Es ist auch jetzt schon nicht einzig entscheidend, dass wir selbst Inhalte auf unseren Seiten teilen”, so der oberste Social-Media-Stratege von Spiegel Online. “Der Kern der Reichweite und des Referrer-Traffics (Anmerk. d. Red.: Traffic durch externe Verlinkungen) wird durch die Nutzer selbst erzeugt.” Es sei bereits jetzt so, dass Nutzer jeden Tag viele Geschichten weiterverbreiten, um sie mit ihrer eigenen Community zu teilen und zu diskutieren. “Insofern sind wir da erstmal sehr gelassen.”
“Keiner kann sich auf Dauer auf etwas verlassen”
Unaufgeregt gibt sich auch Focus Online. Man befinde sich ohnehin in einem “fortlaufenden Testing-Prozess”, in dem man den Content “kontinuierlich für die jeweiligen Distributionskanäle” optimiere, erklärt Chefredakteur Daniel Steil. Auch er meint, dass eine Positionierung im unteren Teil des Feeds nicht zwangsläufig zu Einbußen im Traffic führen muss. “Wenn der Content den Nutzer überzeugt, werden wir die Menschen auch weiterhin über Facebook erreichen.” Darüber hinaus betont Steil die Fokussierung auf Distributionskanäle, mit denen sich Nutzer fest an die Marke binden lassen – beispielsweise mithilfe der News-App. “Im Juni liegt Focus Online mit dem Traffic rund 25 Prozent über dem Vorjahreswert. Und das, obwohl Facebook in den vergangenen Monaten seinen Algorithmus immer wieder verändert hat.” Darüber hinaus zeige Facebook erneut, dass es mit den Publishern spielen könne, so Steil weiter. “Keiner kann sich auf Dauer auf etwas verlassen. Das gilt im Übrigen auch für Instant Articles.”
Im “ständigen Auswertungs- und Verbesserungsmodus” ist auch auch Bild. Laut Social-Media-Chef Andreas Rickmann würden auch die Facebook-Inhalte permanent ausgewertet, um sie zu verbessern und weiterzuentwickeln. “Auch im Zuge der Änderungen im Newsfeed werden wir Kenngrößen wie Traffic und Reichweite sehr genau im Blick haben, analysieren und unsere Rückschlüsse auf die Inhalte ziehen. Im Idealfall sind unsere Inhalte für die Plattform Facebook bereits schon so aufbereitet, dass die Auswirkungen gering sind.” Sicher fühlt man sich in der Boulevard-Redaktion auch aufgrund des hohen Engagements im Segment des Distributed Content für die Plattform Facebook. “Die Zeiten, in denen der Facebook-Traffic auf Webseiten exponentiell steigt, sind ohnehin vorbei.” Und auch Rickmann ist sicher: “Am Ende geht es darum, teilbare Geschichten zu haben, über die die Leute sprechen. Denn künftig sind die Inhalte bei Facebook sichtbar, über die die Menschen sprechen. Das ist nicht neu, sondern gehört zum Kerngeschäft von Journalisten.”
“Keine große Sache” in der Neuausrichtung des Algorithmus sieht Buzzfeed-Redaktionsleiter Sebastian Fiebrig. “Facebook ändert ständig seinen Algorithmus, ohne dass es immer so große Wellen schlägt wie jetzt.” Das aus den USA importierte Viralportal bleibe dabei, sich auf Inhalte zu konzentrieren, “die Leute lieben und gerne mit ihren Freunden teilen”. Solange die Mechanik so funktioniert, “werden wir weiterhin im Newsfeed auftauchen”, ist sich Fiebrig sicher.
Stefan Plöchinger, Digital-Chefredakteur von Süddeutsche betont ebenfalls die Unbeständigkeit des Netzwerkes sowie die eigenen wirtschaftlichen Interessen des Konzerns. “Uns ist immer sehr bewusst, dass Plattformen wie Facebook eigenen Geschäftsmodellen und entsprechenden Erwägungen folgen und folgen müssen – man darf das, was gerade gilt, halt nie für garantiert nehmen und muss sich die entsprechende rationale Nahdistanz zu diesen Plattformen bewahren.” Man wolle sich – wie alle anderen auch – erst einmal “genau” ansehen, was sich ändert. “Wir sind aber im Konkreten gar nicht mal skeptisch, dass die Änderungen sogar für uns laufen könnten: Spannende, von Lesern oft gesharte Geschichten zu pushen und Sparten besser zu bedienen, kann durchaus interessant sein.”
Die zuversichtlich formulierten Antworten der Chefs machen aber auch eines deutlich: Offensichtlich rechnet niemand damit, nach den Änderungen steigende Traffic-Zahlen verzeichnen zu können. Allerdings, merkt Jochen Wegner in diesem Zusammenhang an, habe man in den vergangenen Jahren bereits ordentlich profitiert. “In der aktuellen Debatte gerät leicht in Vergessenheit, dass Medien in den vergangenen zwei, drei Jahren weit überproportional von Facebooks Änderungen profitiert haben. Es war die klare Strategie, unsere Inhalte stärker zu befördern, um die Qualität der Timelines zu erhöhen. Davon haben wir massiv profitiert: Der Facebook-Anteil an unserer Reichweite ist von 3-4 Prozent auf 12 Prozent gestiegen.”