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Focus Online-Chefredakteur Daniel Steil: “Exklusiv gibt es nicht mehr”

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Einzig und allein der Fußboden in der Redaktion lässt noch erkennen, wie verbaut die Räume waren, als Daniel Steil 2011 seinen Amtsantritt als Chefredakteur des Nachrichtenportals hatte. Er startete mit einem kleinen Team, viel Platz war also nicht nötig. Wo früher die Wände der in Einzelbüros zerklüfteten Etage verliefen, heben sich helle Teppichstreifen vom Rest des Bodens ab, die nach Abriss eingesetzt worden sind. Daniel Steil erzählt mit Stolz, wie die Redaktion in den vergangenen vier Jahren gewachsen ist und sich räumlich vergrößert hat. Wände gibt es kaum noch. Unter der Führung von Chefredakteur Steil und Geschäftsführer Oliver Eckert sind offene Strukturen wichtig.

Mittlerweile entsteht Focus Online auf mehreren hundert Quadratmetern, verteilt auf drei großzügig geschnittene “Action”-Räume, in denen sich Newsredaktion mit CvDs und verschiedenen Ressorts, Marketing, Produkt und Entwicklung sowie die Service-Redaktion organisieren. Dass die Grenzen fließend sind, zeigt vor allem der Gang durch den zuletzt genannten Bereich. Lediglich eine Regalwand trennt Service-Redakteure von Vermarktungsmitarbeitern. Laut Steil gibt es aber keinen Grund zur Besorgnis, denn ethische Grenzen seien nicht eingerissen worden. Die räumliche Nähe erlaube eine einfachere Kommunikation und einen schnellen Informationsfluss, beispielsweise wenn die Vermarktung Fragen zu Schwerpunktthemen habe.

Mit 50 festangestellten Redakteuren haben Steil und Eckert Focus Online zu einer der reichweitenstärksten und schnellsten Nachrichtenplattform der Republik gemacht – Tendenz steigend. Das Erfolgsgeheimnis: Daniel Steil und sein Team haben nur einen Focus – das eigene Produkt. Regelmäßige und laute Kritik, beispielsweise von Bild-Online-Chefredakteur Julian Reichelt, lässt Steil an sich abprallen. Man dürfe sich nicht zu viel mit “Marktbegleitern” – wie er sie nennt – beschäftigen. Das Wort Konkurrenz vermeidet der 46-Jährige. Wieso, das erklärt er im Interview mit MEEDIA, in dem er auch über die Bedeutung von Nutzwertthemen mit Tiefe, über Schnelligkeit im Netz spricht und erklärt, wieso der 10-jährige Geburtstag von Hello Kitty eine Eilmeldung war.

 

Focus Online Reaktion 2015.10 by flohagena.com

Den Traffic immer im Blick: Die Redaktion konzentriert sich vor allem auf ihre Mobil-Seite

Sie haben – wie andere auch – den Anspruch, die schnellste Nachrichtenseite im Web zu sein. Wie ist der Regelablauf, wenn eine Nachricht eintritt?
Die Nutzer informieren sich heute vor allem mobil. Das bedeutet, wir müssen den Focus-Online-Usern die Nachrichten schnellstmöglich auf ihr Smartphone liefern. Um der schnellste zu sein, sind vor allem zwei Parameter besonders wichtig: eine Technik, die reibungslos funktioniert, und eine Redaktion, die sehr schnell handeln kann. Unseren eigenen Analysen zufolge, halten wir das in 90 Prozent aller Fälle ein.

Das trifft sicher auf die Nachrichten zu, die vom Kommunikator selbst kommen. Beispielsweise auf den Rücktritt von Martin Winterkorn. Oft haben Redaktionen Breaking News aber selbst recherchiert. Da können Sie kaum der Schnellste sein.
Spektakulärerweise manchmal schon.

Beim Pushen der Nachricht…
Richtig. Weil es immer noch Redaktionen gibt, die ihre Nachrichten auf die Homepage stellen, ohne sich vorher überlegt zu haben, wie sie sie verbreiten möchten. Das kann passieren, wenn sich die Verantwortlichen nicht über die Bedeutung ihrer Nachricht im Klaren sind oder weil sie davon ausgehen, dass sich die Nachricht von alleine verbreitet. Das Feedback, das wir auf unseren Umgang mit Eil-Meldungen bekommen, ist sehr positiv. Die User erkennen hier die Positionierung von Focus Online. Ich freue mich riesig, dass wir Focus Online als das schnellste Angebot im Mind-Set der Nutzer etabliert haben.

 

Focus Online Reaktion 2015.10 by flohagena.com
Im Focus Online Newsroom bearbeiten Redakteure die aktuelle Nachrichtenlage, steuern den Content und analysieren den Traffic.

 

Woher stammt diese Erkenntnis?
Das bekommen wir sehr häufig von unseren Usern zurückgespielt. Zugegeben, es hat etwas gedauert, bis diese Botschaft angekommen ist. Aber die Weiterempfehlungen unserer Stammnutzer haben uns da stark geholfen. Einige unserer Marktbegleiter müssen viel Marketinggeld in die Hand nehmen, um ihre Position klar zu machen. Das brauchen wir nicht. Die User empfehlen uns. Schnelligkeit ist deshalb nur eine von zwei strategisch wichtigen Säulen für uns.

Ich kann mir vorstellen, dass die Leser von Spiegel Online der Redaktion dasselbe zurückspielen.
Das kann durchaus sein. Wir freuen uns über jeden Nutzer, der unsere App herunterlädt und dann mit anderen vergleicht. Das ist die Situation, die wir lieben.

Ich erinnere mich an eine Focus-Online-Push zum Geburtstag von Hello Kitty. Wo liegt der Unterschied zwischen einer Eil- und einer Pushmeldung?
Das war toll, oder? Mit Hello Kitty haben wir eine Menge Spaß gehabt. Dadurch, dass unser CMS intern keine Beschränkungen hat, konnte ein Kollege den Artikel “eilen”, dessen Aufgabe es nicht war. Als es raus war, war es raus. Wo Menschen arbeiten, kann so etwas schon mal passieren. Es ist schade, dass manche sich über solche Dinge so sehr aufregen. Man hätte auch einfach lachen können.

Wer sich beschwert, nimmt eine Sache vermutlich ernst. Hat es Sie überrascht, dass einige geglaubt haben, Focus Online hätte einen solchen Artikel bewusst versendet?
Das kann ich nicht beurteilen. Man muss zwei Ebenen unterschieden. Es gibt jene Journalisten, die dazu neigen, Dinge eher negativ zu betrachten und die Focus Online aufgrund seiner erfolgreichen Andersartigkeit auch mit einer gewissen Form der Scheu betrachten. Und dann gibt es die Nutzer, die so etwas vielleicht bemerken, sich aber nicht stundenlang daran aufhängen.

Missgunst, kennen Sie das auch? 
Missgunst belastet den Kopf und kostet unnötig Energie, die man positiv viel sinnvoller einsetzen kann. Ich verstehe auch nicht, weshalb es so viel davon in unserer Branche gibt. Ich habe keinen Grund für Missgunst. Focus Online wächst sehr stark und wir stellen regelmäßig neue Leute ein. Ich freue mich immer wieder, wenn ich Bewerbungen von Kollegen auf den Tisch bekomme, die zuvor bei unseren Marktbegleitern gearbeitet haben.

Wieso sagen Sie eigentlich Marktbegleiter und nicht Konkurrenten?
Die Philosophie unseres Geschäftsführers Oliver Eckert ist es, zuallererst und immer auf den User zuschauen. Das tun wir mit unserer eigenen Brille – und wir schielen dabei nicht auf andere Unternehmen. Wir wollen anders sein, uns differenzieren. Deshalb sprechen wir auch nicht von Konkurrenten. Andere Portale begleiten und ergänzen uns auf dem Markt. Sie sehen uns wiederum vielleicht als Konkurrenz an, das mag sein.

Ist das nicht etwas überheblich ausgedrückt? 
Ich finde das nicht überheblich, sondern realistisch. Wir befinden uns alle auf einem Markt. Und unser Anspruch ist es, uns abzusetzen und für die User etwas vollkommen Neues zu schaffen. Neulich war ich mit dem Online-Kollegen einer Wochenzeitung in einer Diskussionsrunde – wir hätten uns nie als Konkurrenten gesehen aus meiner Sicht. Dafür sind wir zu unterschiedlich.

Finden Sie nicht, dass es einen Wettbewerb gibt, in dem auch Focus Online steht? 
Was heißt Wettbewerb?

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Konferenz: Daniel Steil (r. oben), Stellvertreter Florian Festl und ihr Team erörtern die wichtigsten Themen des Tages.

Wenn Sie das schnellste Nachrichtenmedium im Web sein wollen, müssen Sie sich ja mit anderen – mit Wettbewerbern – vergleichen.
Sie sprechen damit einen ganz wichtigen Punkt an: Wenn Sie Ihre Arbeitsweise nur mit anderen vergleichen, dann verlieren sie den User aus dem Blick. Sie behindern sich im Kopf und sind in den wesentlichen Dingen nicht frei – nämlich in der Weiterentwicklung Ihres Produktes. Wer den ganzen Tag die übrigen Unternehmen oder die veröffentlichte Meinung analysiert und für sich zum Maßstab macht, kann niemals die Exzellenz entwickeln, die nötig ist, um Nutzer zufriedenzustellen. Es geht darum, dass wir mit ganzer Kraft und freien Gedanken etwas Eigenes und Wertvolles für unsere User entwickeln.

Was entwickelt Focus Online für sich selbst?
Focus Online hat zwei Säulen, die es fokussiert. News und Nutzwert. Und das machen wir mit einer Tiefe und Intensität wie kein zweiter.

Wie tief geht denn Focus Online beim Nutzwert? Der Presserat hat Ihr Portal jüngst dafür gerügt, weil Sie einen Artikel über Angebote eines Drogeriemarktes gemacht haben. Heute morgen habe ich bei Ihnen einen Artikel gelesen, bei welchen DSL-Angeboten ich “zuschlagen” sollte. Ist das die Tiefe, die Sie meinen?
Wir investieren viel Zeit und Geld in unseren Nutzwert. Wenn Sie ein Thema haben, das den Nutzer persönlich betrifft – Krankheit beispielsweise ist für Millionen Deutsche ein riesiges Thema –, dann müssen Sie den Menschen weitreichende und gut recherchierte Informationen liefern, ihnen Erfahrungen anderer schildern, ihnen Experten an die Hand geben und so weiter. So etwas finden Sie eher bei uns als woanders. Hier bewegen wir uns übrigens auch sehr stark am klassischen Markenkern von Focus. Zum Markenkern des Magazins gehört seit jeher Nutzwert.

Wie wichtig ist Exklusiv-Journalismus für Focus Online?
Wir haben mehr als 50 festangestellte Redakteure bei Focus Online. Da werden sehr viele einzigartige Inhalte erstellt. Allerdings geht es dabei nicht um die klassische journalistische Exklusivität, sondern um die usergerechte Aufbereitung und Darstellung dieser erstklassigen Inhalte.

Focus Online Reaktion 2015.10 by flohagena.com

“Building a great publishing house”: Bei Focus Online laufen die Angestellten täglich an ihren Leitmotiven vorbei.

Und wie wichtig ist Focus Online eine exklusive Nachricht? Im für viele Chefredakteure so wichtigen Zitateranking kommt Focus Online beispielsweise nicht vor. 
Die exklusive Nachricht ist gar nicht wichtig für mich. In der digitalen Welt ist die Exklusivität nach genau einer Sekunde weg. Und dem Nutzer ist es total egal, wo er eine Nachricht liest. Die Exklusivität war für Zeitungen total wichtig, als es noch nicht einmal Privat-TV gab und sie einen ganzen Tag mit ihrer Schlagzeile am Kiosk liegen konnten, ohne dass die Nachricht woanders lief, höchsten noch im Radio. Exklusiv gibt es heute nicht mehr.

Vom Markenkern zur Zielgruppe: Bild hat kurzerhand alle Menschen in Deutschland zur Zielgruppe erklärt. Sie auch?
Selbstverständlich. Nur: Um das zu schaffen, braucht es Voraussetzungen, die ich bei uns sehe. Es benötigt zum Beispiel eine entsprechende Abdeckung in Deutschland. Wenn Sie hierzulande mit dem Mobilgerät unterwegs sind, haben Sie nicht überall besten Zugriff auf das Netz. Wir haben eine besondere App-Version entwickelt, die auch bei schlechtem Empfang lädt. Damit können wir schon mal viel mehr Menschen erreichen als üblich. Ob das eine Plattform kann, die beispielsweise von ihrer Bildsprache lebt, bezweifle ich. Ein weiterer Punkt ist, dass sich viele gezwungen sehen, das abzubilden, was die Masse der Menschen vermeintlich interessiert. Wir sind nicht und wir dürfen nie so sein wie die anderen. Denn ich bin sicher, wer sich nicht unterscheidet, wird in einigen Jahren auf dem Markt nicht mehr zu finden sein. Viele Online-Medien haben ihren Weg noch nicht gefunden und sind auch nicht profitabel – wir sind es. Weil wir bei Wind lieber Windmühlen als Mauern gebaut haben und uns stetig weiterentwickeln. Derzeit im Bereich Video-Content.

Dort wachsen Sie schneller als alle anderen und stehen auch an der Spitze, zumindest was die Visits aus Videoseiten angeht. Wie sieht Ihr Angebot aus? 

Traffic-Analyse: Daniel Steil (l.) und HuffPo-Chef Sebastian Matthes.

Traffic-Analyse: Daniel Steil (l.) und HuffPo-Chef Sebastian Matthes.


Auch was die Video-Starts angeht ist keiner besser. Wir stellen täglich rund 70 neue Videos auf die Seite, zwischen 30 und 40 werden von uns selbst produziert. Wir sind in Deutschland Development-Partner von Wotch.It, einer Produktions-Software, die bei uns jeder Kollege beherrscht. Wer Texte erstellt, muss bei uns auch in der Lage sein, ein eigenes Video zu produzieren. Hier haben wir uns weiterentwickelt. Zu Beginn bestanden Videos vielleicht noch daraus, dass man Fotos aneinandergeschnitten hat. Das gibt es heute nicht mehr. Auch hier setzen wir auf Nutzwert: Wir testen die Discounter-Variante des Thermomix, wir machen jeden Tag Life-Hacks, schicken unsere Reporter nach draußen, produzieren Video-Kommentare im Finanz- und Sportbereich. Die Leute möchten Bewegtbild sehen. Das Verlangen wird noch größer, wenn die Menschen auf ihren Mobilgeräten mehr Datenvolumen haben und unbesorgt Videos sehen können. Darauf stellen wir uns ein, um auch künftig vorne zu sein.

 

 

Fotos: Flohagena.com für Hubert Burda Media


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